Donnerstag, 29. März 2012

Der Schulalltag

Schultor und Sister Ama direkt dahinter
Das Schultor ist nur einen kleinen Spalt weit offen und der wird auch noch zur Hälfte von einer Bank versperrt. Darauf sitzt mit ihrem Geldeimerchen auf dem Schoß Sister Ama, meine Namensvetterin, die keine_n Schüler_in passieren lässt, der/die keinen Essensschein kauft. Die Frau gehört zur Familie des Schulinhabers und ist auf dem Schulhof für den Nahrungsvertrieb zuständig. Ihr helfen noch ein paar andere Frauen, doch sie ist sozusagen die Chefin.
Es folgt das übliche Ritual und im Vorbeigehen pikse ich noch ihrer kleinen Tochter (ebenfalls meine Namensvetterin) spielerisch in den Bauch. Die Kleine ist etwa zwei und befindet sich um diese Zeit meistens auf dem Schoß ihrer Mutter, direkt neben dem Münzeneimerchen.

Morning Assembly auf dem Schulhof
Da ich etwa gegen 8.00Uhr eintreffe, findet auf dem Schulhof gerade die tägliche Schülerversammlung statt, die vom JHS-Direktor oder seinem Stellvertreter geleitet wird. Vom Schlagzeug begleitet, singen die Schüler_innen zuerst eine Strophe der Nationalhymne, sagen dann im Chor das „Vater-Unser“ auf, hören sich die Ankündigungen und Moralpredigten des Direktors an und marschieren dann Reihe um Reihe in ihre Klassenräume. Dabei wird so eine Art Motivationslied gesungen.
Manchmal werden solche Assemblies auch mitten am Tag berufen. Dann geht es meistens darum, irgendwen für seine Missetaten zu bestrafen. Oft handelt es sich um die sog. „Fantespeaker“, auf dem Schulgelände soll man nämlich ausschließlich Englisch sprechen. Diese werden dann vor der ganzen Schule vorgeführt und anschließend mit dem Cane (Schlagstock) etwa 5mal wahlweise auf den Hintern oder die Hand geschlagen. Wenn man dabei versucht auszuweichen, sich die Stelle reibt oder das Gesicht verzieht, wird man von den restlichen Schüler_innen ausgelacht.

Als erstes steuere ich das Office an, welches sich direkt neben dem Schultor befindet. Gleich neben der Tür ist ein Tisch, an dem Joana sitzt. Die junge Frau wird oft Madam School Fees genannt, weil sie für das Eintreiben eben dieser zuständig ist. Mittlerweile ist sie zu einer echt guten Freundin geworden, aber auch hier bleibt das tägliche „How are you?“ nicht aus. So ist es nun mal üblich. Der Unterschied ist, dass sie wirklich wissen will, wie es mir geht.
Je nach Wochentag, also Stundenplan, sind auch die beiden anderen Kolleginnen, Pat und Dina, hier und haben bereits die einzigen beiden Stühle (keine Ahnung, wohin unsere Stühle immer verschwinden!) neben dem langen Tisch besetzt. Ich lasse mich also erst einmal auf dem Sofa hinter Joana nieder. Meistens wird gerade gegessen und diejenige lädt mich auch prompt ein. Ich bedanke mich höflich und verzichte.
Lange haben wir Freiwilligen darüber spekuliert, ob das „You are invited“ ernst gemeint oder vielleicht doch nur eine Floskel sei. Im Grunde ist es eine Höflichkeitssache: Wenn man isst, ist es angebracht, allen Anwesenden etwas anzubieten. Das heißt nicht, dass auch alle mitessen werden, aber wenn man die Einladung annimmt, wird auch wirklich bereitwillig geteilt.
Gegessen wird auch um diese Zeit schon warm oder wie die Ghanaer_innen selbst zu sagen pflegen „heavy“ und in Mengen, die mit der Größe meines Magens einfach unvereinbar sind. Im Laufe des Tages werde ich noch einige Male so eingeladen und meistens lehne ich ab, was mir schon des Öfteren Vorwürfe seitens der Einladenden eingebracht hat. So oft und so viel kann ich jedoch einfach nicht essen. Trotzdem finde ich diese Gewohnheit klasse und wende sie auch an, wenn ich gerade mein Brot und meine Bananen mampfe oder mir einige Kekse bei der schuleigenen Süßigkeiten-Verkäuferin geholt habe. Schließlich sage ich bei solchen Kleinigkeiten ja selbst nie nein.

Auch wenn die Stundenanzahl und –Art vom Wochentag abhängen, verläuft jeder Schultag doch irgendwie gleich. Ich halte meinen Unterricht, in dem ich möglichst mindestens eine Exercise machen lassen und am Ende eine Hausaufgabe geben muss – Vorschriften, die mir persönlich nicht besonders einleuchten, an die ich mich aber zu halten habe. Danach kriege ich zwei Stapel Hefte – Exercise und Homework Books. Je nach Klasse variiert die Heftanzahl eines solchen Stapels zwischen 33 und 36. Dementsprechend zieht sich auch die Korrekturzeit etwas hin. Hinzu kommt noch die Zeit, in der ich mich über diejenigen aufrege, die schamlos einfach jedes Wort, jeden Buchstaben, ja jedes Zeichen und selbstverständlich auch jeden Fehler abgeschrieben haben (v.a. in Mathe) und mir überlege, was ich dagegen unternehmen kann. Gegen fehlende Hausaufgaben habe ich auch schon so meine Methoden und dazu gehört Canen eindeutig nicht!
Außerdem will natürlich die nächste Unterrichtsstunde vorbereitet werden. Dafür haben die Lehrer_innen unserer Schule eigentlich spezielle und absolut riesige Bücher. Ich bin jedoch froh, dass keiner daran gedacht hat, mich mit so einem Klotz auszustatten. Meine Unterrichtsnotizen mache ich gerne so, wie es mir am sinnvollsten erscheint. Die beiden bereits angesprochenen Vorschriften sind da auch schon genug.
unsere kleine "Chaoshöhle" - das Office
Wenn es so wie jetzt auf die Examen zugeht, suche ich dafür die Aufgaben heraus oder erstelle selbst welche. Das ist wirklich nicht so einfach, wie man es sich vorstellt!

Außer den drei jungen Lehrerinnen und mir verbringt kaum eine_r eine längere Zeit im Office. Manche sind Klassenlehrer und immerzu in ihren Klassenräumen. Die meisten anderen befinden sich in der unterrichtsfreien Zeit im Computerraum am anderen Ende des Schulgebäudes. Sie schneien nur ab und zu ins Office herein, weil sie etwas suchen oder mit einer von uns reden wollen.
Die gesamte Schule schließt um 15.00 Uhr und jede_r Lehrer_in hat bis zum Schluss da zu sein, ob er/sie Unterricht hat oder nicht. Wenn man früher gehen möchte, muss man den Grund in ein speziell dafür angelegtes Buch eintragen. So gibt es zwischendurch eine Menge Zeit, um sich auch mal mit den Kolleginnen zu unterhalten. Da Joana nicht unterrichtet und so beinahe den ganzen Tag im Office ist, außerdem echt gut zuhören kann und zu den wenigen mir bekannten Ghanaer_innen gehört, die recht offen für Neues sind, entwickeln sich zwischen uns immer die interessantesten Gespräche bzw. Diskussionen. Dies ist wohl mit ein Grund dafür, dass wir uns so gut verstehen.
Bei der Überfülle an Zeit ist es kein Wunder, dass sich die Lehrer_innen oft mit etwas anderen Dingen als der Arbeit beschäftigen. Manchmal entbrennen heiße Diskussionen, die sich meistens um Religion drehen und leider in Fante geführt werden. Es wird auch viel Musik gehört und mitgesungen. Oft holen die jungen Frauen auf den Tisch gelehnt oder im Halbsitzen auf dem Sofa ihren Schlaf nach. Sie wundern sich ständig darüber, dass ich immer beschäftigt bin und versuchen mir einzureden, dass ich mich auch mal ausruhen sollte. Ich kann jedoch nicht einfach nur herumsitzen. Da würde ich vor Langeweile eingehen und mir so vorkommen, als verschwende ich meine Zeit (, von der es hier sowieso nie genug zu geben scheint). Also suche ich mir eben etwas zu Tun.
Zwischendurch werden Schüler_innen von meinen Kolleginen zum Essen-, Süßigkeiten- und Wasserkaufen, Geschirrabspülen, Müllentsorgen, jemanden Holen oder – das ist auch schon vorgekommen - nach dem Handtuch, welches einen Meter entfernt an der Wand hängt, geschickt. Man sieht, als Lehrer hat man hier automatisch den Anspruch auf Respekt, v.a. von Jüngeren, und der wird auch in großen Mengen entgegengebracht.

Gegen Mittag bringen die Klassensprecher_innen ihre Studies Fees, 0.20 Cedis pro Schüler_in und Tag. Fragt mich nicht, warum diese täglich eingesammelt werden. Auf jeden Fall ist es jedes Mal eine Philosophie und ein Zeitaufwand von einer bis zwei Stunden, die Münzen und Geldscheine nachzuzählen, alles zu dokumentieren und in bestimmten Mengen in kleine Plastiktüten abzupacken, die dann zur Bank gebracht werden. Kein Wunder, dass Joana bald nach dem ich an der Schule angefangen hatte, um meine Hilfe gebeten hat. Am Anfang kam ich mir dabei etwas makaber vor. Ich habe mir vorgestellt, nach außen hin müsse es so aussehen: Ich, die Weiße, bin nach Ghana gekommen, um Geld von Schulkindern, den Schwarzen, einzusammeln. Da wird man doch automatisch an die Kolonialzeit erinnert, dachte ich mir. Letztendlich helfe ich jedoch nur Joana, die ja schließlich selbst gefragt hat und habe daraus überhaupt keinen Gewinn, außer eben ihre Freundschaft. Nun ja, inzwischen ist es zu meiner festen Aufgabe geworden und mittlerweile ist Joana diejenige, die nur ab und zu mal dabei hilft.

Um diese Zeit bin ich echt froh, dass wir einen Ventilator in unserem kleinen Office haben, der mir leider nichts bringt, wenn ich gerade unterrichten muss oder es mal wieder „Light Off“ gibt. Dafür genießt man es umso mehr, wenn alles funktioniert.
Draußen auf dem Hof kommandiert die kleine Ama, teilweise nur noch in eine Pampers gekleidet (alles andere hat sie schon längst runtergerissen), alle anderen herum. Währenddessen scheuchen der Driver und Sister Ama die Schüler_innen umher, die keine Lust auf die Schulkost haben und lieber außerhalb etwas zu Essen kaufen würden. Sister Ama will dies selbstverständlich unterbinden, da sie ja Geld verdienen möchte und der „Security Man“, der gleichzeitig Schulbusfahrer ist, hilft ihr dabei. Sein sog. Schutz besteht darin, die Kinder nicht vom Schulgelände zu lassen und dabei wird er manchmal auch richtig aggressiv. Ich persönlich finde den Typen echt unsympathisch. Pat hat schon ganz recht, wenn sie sagt, er sei einfach unzivilisiert.
Andere Schüler stehen Schlange, um ihr Mittagessen entgegenzunehmen, quatschen dabei, singen oder spielen Ampe. Es herrscht ein stetiges Gebrumme, das auch innerhalb der Unterrichtszeit nicht verstummt. Bei einer Schüleranzahl von 30-50 in einer Klasse ist völlige Ruhe völlig unmöglich. Außerdem gestalten manche meiner Kollegen den Unterricht so, dass die Schüler wortwörtlich feiern. So richtig still ist die ganze Schule nur, wenn Examen geschrieben werden und da merkt man auch erst, wie laut es vorher eigentlich war.

Um 14.00 verschwindet Joana, weil sie das eingesammelte Geld zur Bank bringen muss. Ich werde zum Ende hin immer müder und bin froh, wenn die Glocke geläutet wird und eine Jungenstimme verkündet: „Cleaning, please!“. Während die Kinder mit Besen ausgerüstet über den Schulhof eilen, mache ich mich aus dem Staub. Schließlich folgt sowieso nur noch eine weitere Assembly...