Mittwoch, 4. April 2012

Nach Hause
Wenn ich es geschafft habe, rechtzeitig zu verduften, dann gestaltet sich mein Nachhauseweg relativ langweilig. Meistens ist es tierisch heiß und ich bin tierisch müde, sodass ich versuche, so schnell wie möglich nach Hause zu kommen. Unterwegs klappere ich die gleichen Stationen ab, wie schon auf dem Hinweg. Schaffe ich es jedoch nicht, wird das ganze spannender, aber auch nerviger.
Die Schüler_innen meiner eigenen Schule kennen und respektieren mich als ihre Lehrerin. In der Umgebung gibt es jedoch zwei weitere Privatschulen, die Schüler_innen derer mir gern das Leben schwer und meinen Nachhauseweg zu einer Art Spießrutenlaufen machen. Während ich an so einer Gruppe vorbeigehe, nehme ich automatisch eine angespannte Haltung ein und warte nur noch auf eine Reaktion ihrerseits auf meine Präsenz. Wenn mich keiner davon mit Obroni anschreit oder irgendwie anders anspricht, dann ist es ein Wunder. Meistens und keine Ahnung wieso, tun sie dies mit einer eigenartig hohen Stimme. Da ich ganz genau weiß, dass so ein Verhalten Erwachsenen gegenüber hier niemals gebilligt werden würde und sie es nur tun, weil ich weiß bin, ignoriere ich sie einfach. Das heißt, es fällt mir nicht einfach, aber ich ignoriere sie, denn alles andere würde sie nur belustigen. Doch oft finden sie mein Schweigen genauso witzig.

Ein zwölfjähriger Junge, dessen Namen ich nicht einmal kenne, erinnert mich bei jeder Gelegenheit daran, ich hätte ihm versprochen ihn mitzunehmen, wenn ich gehe. Dabei soll ich ihn mal nach England, mal in die USA mitnehmen, sodass ich ihn ständig erinnern muss: „I’m not going there“.
„Then were? France?“
„No, Germany!“, dem Kleinen ist das auch Wurscht, Hauptsache ich vergesse ihn nicht. Ich kann mich an so ein Versprechen überhaupt nicht erinnern (, was vermutlich daran liegt, dass er bis jetzt jeden weißen Menschen gefragt hat und sich selbst nicht mehr daran erinnern kann, wer ihm was geantwortet hat), versichere ihm aber, dass ich nicht so bald gehen und ihn auf gar keinen Fall vergessen werde. Schließlich will ich in Ruhe meinen Weg fortsetzen.

Manchmal zwingt sich mir jemand als Begleitung auf, was dann meistens echt ätzend wird. Nicht, dass ich die Gesellschaft anderer Menschen nicht schätzen würde, aber leider entwickelt sich nur in den seltensten Fällen ein Gespräch, da die Person sich ja nur aufgedrängt hat, weil ich weiß bin. So gibt es nichts zu sagen und man geht in bedrückender Stille nebeneinander her. Ich fühle mich in solchen Situationen immer unter Druck gesetzt, etwas reden zu müssen. Dabei habe ich ja gar nicht darauf bestanden, begleitet zu werden!

Der Schneiderladen an der Ecke zu unserem Schotterweg ist nun offen. Die Schneiderjungens, Kobi und Frank, sind mittlerweile zu Freunden geworden. Die interessiert es wirklich, wie es mir geht, sie hören sich alle Geschichten von mir gerne an, machen Späße und beruhigen mich, wenn ich mich über etwas aufrege. Ich kann immer zu ihnen kommen, wenn es etwas zu flicken gibt und die Bezahlung dafür wird nicht einmal angenommen. Obroni haben sie mich noch nie genannt und behandeln das Thema mit (meiner Meinung nach) angebrachter Ernsthaftigkeit. Leider sind die Unterschiede in der Mentalität auch hier vorhanden und so bin ich nur noch mehr enttäuscht, wenn es dann zu Differenzen kommt und ich mich völlig missverstanden fühle.

Auf den letzten paar Metern spielen bereits die Nachbarskinder, die gerade von der Schule zurückgekommen sind. Die meisten davon sind Jungens und haben mich früher immerzu nach Bonbons und zum Teil auch Geld gefragt, bis ich es eines Tages meiner Gastmutter erzählte. Seit dem begrüßen sie mich nur noch oder lassen mich komplett in Ruhe.