Donnerstag, 22. Dezember 2011

Meine Gastfamilie

An einem Mittwochabend, fünf Tage nach meiner Anreise, wurde ich von einem der Mentoren in meine Gastfamilie gebracht, wo mich bereits eine kleine Überraschung erwartete.
Das Taxi hielt vor einem nicht allzu kleinen Haus, umgeben von einer hellblauen Mauer. Durch das quietschende Tor kamen wir in den Vorgarten mit einigen Plantain-, zwei Avocadobäumen und einem großen Mangobaum (wie ich später und zu meiner Freude erfuhr). Zur Begrüßung wurden wir erst einmal vom etwas hyänenartig aussehenden Hund lautstark angebellt. Auf der Veranda empfing uns eine junge deutsche Praktikantin, die schon seit einem halben Monat in Ghana war und noch 7 ½ weitere mit mir gemeinsam in der gleichen Familie verbringen würde. Sie führte mich durch das Haus, in mein Zimmer und half mir beim Anbringen des Moskitonetzes. Dabei erzählte sie mir schon mal etwas von der Familie.
Meine Gastmutter und die Chefin im Haus heißt Jennifer. Sie ist eine richtige Geschäftsfrau und verkauft Stoffe auf dem Markt nur eine Straße weiter. Ihr Arbeitstag beginnt so um 7.30 Uhr morgens und endet gegen 18.00 Uhr abends, wenn es auf den Straßen dunkel wird. Ab und zu muss sie in die Hauptstadt fahren, um neue Ware zu besorgen. Ansonsten geht sie wie wohl jede „anständige“ Ghanaerin jeden Sonntag in die Kirche (, wohin ich sie auch des Öfteren begleite). Sie ist auch ein Mitglied der Calvary Methodist Church Women Fellowship, welche sich jeden Mittwochabend trifft. Aus diesem Grund war die Mutter bei meiner Ankunft auch überhaupt nicht da.
Außerdem leben im gleichen Haus noch Old Lady (ausgesprochen wie Ohlady!), die 16-jährige Esi und der 14-jährige Kobi. Old Lady ist die Mutter meiner Gastmutter und auch eine Marktfrau. Sie verkauft verschiedene hausgemachte Cremes und Pulver, kleine Wurzeln und getrocknete Blätter, die sie auf einem Tablett auf ihrem Kopf durch die Straßen balanciert (ich habe immer noch nicht raus, wie das geht!). Was ihr richtiger Name ist, weiß ich nicht, denn jede_r hier nennt sie Old Lady, selbst ihre Kinder. Abends hilft die Oma Esi beim Essenkochen. Die junge Frau hat die JHS absolviert und geht nun nicht mehr zur Schule, dementsprechend kann sie genauso wie die Großmutter leider nicht besonders gut Englisch sprechen. Esi schmeißt hier so ziemlich den ganzen Haushalt und verkauft nebenbei auch auf dem Markt. Ähnlich wie Old Lady trägt sie Schmuck, Haarnetze und –Spangen durch die Gegend.
Am Anfang dachte ich, die beiden Teenager seien die Kinder meiner Gastmutter, schließlich wurden sie uns auch so vorgestellt. Erst einige Wochen später stellte sich heraus, dass es nicht ihre biologischen Kinder sind. Esi z.B. ist überhaupt nicht mit ihr verwandt. Sie kommt aus einem entlegenen Dorf. Ihre Eltern konnten ihre Ausbildung nicht finanzieren und haben sie deshalb, wie das so üblich ist, zu meiner Mutter geschickt, um kochen zu lernen. Hier kann sie wohnen, essen, ihr eigenes kleines Taschengeld auf dem Markt verdienen und muss aber dafür den Haushalt für die Mutter übernehmen. Sie ist also eher eine Art Hausmädchen.
Kobi ist der Neffe meiner Gastmutter. Seine Mutter lebt auch in einem kleinen Dorf außerhalb von Swedru. Wieso er nicht mit ihr dort lebt, kann ich immer noch nicht wirklich sagen. Seine Mutter kam auch schon einmal zu Besuch. Da habe ich übrigens auch erst erfahren, dass er eigentlich gar nicht der leibliche Sohn meiner Mutter ist. Ihre Erklärung dazu war ungefähr so: „Yes, he is my son, but this woman, my younger sister, is his mother.”…
Der Junge geht hier auf eine staatliche Schule und verkauft danach oft Wassersachets auf der Straße. Eigentlich sehe ich ihn fast nur morgens und abends, weil er immer unterwegs ist und draußen mit den Kindern aus der Nachbarschaft spielt. Wenn er dann aber da ist, bekommt man das sofort mit, denn Kobi ist eine Frohnatur und singt immerzu und das auch nicht all zu leise! (Im Moment sitzt er draußen auf dem Hof, wäscht seine Kleidung und lacht sich tot. Ich habe keine Ahnung, worum es geht, muss aber automatisch mitlachen!)
Meine Gastmutter hat auch einen Mann und zwei Kinder. Diese leben aber in Kumasi, der zweitgrößten Stadt Ghanas. Der Vater, ein kleiner, aber echt liebenswürdiger Mann, arbeitet dort und hat da auch ein eigenes Haus, das unserem in gewisser Weise ähnlich ist. Ihre beiden gemeinsamen Töchter Beatrice (26) und Shebba (18) wohnen bei ihm. Beatrice arbeitet in einer Bank und Shebba hat gerade die High School abgeschlossen. Außerdem wohnen im gleichen Haus noch zwei weitere Kinder meines Gastvaters und ein Hausjunge, der dort so ähnlich untergebracht ist wie Esi hier. Der Mann meiner Gastmutter war wohl vorher schon verheiratet und hat deshalb insgesamt 12 Kinder, die alle irgendwo in Kumasi und Gegend leben. Ich weiß, die Familienverhältnisse sind hier manchmal echt schwer nachzuvollziehen. Ich habe ja auch ein paar Monate gebraucht und blicke immer noch nicht so ganz durch.
Gastfamilie im Sonntagsdress (Kumasi)  

Ich muss sagen, dass es für mich nach über drei Monaten immer noch schwierig, wenn nicht gar unmöglich ist, ein richtiges Familienmitglied zu werden. Das liegt zum Teil daran, dass meine Gastfamilie ja auch keine Familie im herkömmlichen Sinne ist, wie man bereits an den Verwandtschaftsverhältnissen leicht erkennen kann. So besteht auch eine klare Hierarchie, an dessen Spitze sich meine Gastmutter befindet. Dieses System wäre in den meisten ghanaischen Familien vorhanden und beruhe auf einer langen Tradition, haben uns die Mentoren erklärt. Trotzdem ist es für eine_n Außenstehende_n nicht einfach nachzuvollziehen und noch weniger einfach, einen eigenen Platz in der Familie zu finden. Ein Beispiel: Wenn ich Esi beim Abwasch helfen möchte, dann versucht sie alles, um es zu verhindern. Es entspricht nicht der „Norm“, dass ein Familienmitglied in meiner Position einem Familienmitglied in ihrer Position hilft. Es entspricht allerdings aber auch nicht meinen Vorstellungen, mich von ihr bedienen zu lassen. Schwierige Angelegenheit…
Andererseits bin ich froh über die eher lockeren Familienverhältnisse, in denen ich als Freiwillige einen gewissen Freiraum genieße. Es ist echt toll zu wissen, dass es einen Ort gibt, wo man sich zurückziehen kann, v.a. wenn der Tag nicht besonders gut gelaufen ist. Es ist eben doch zu meinem Zuhause geworden.

Ich hoffe ihr konntet nun einen gewissen Einblick in diese Familienverhältnisse gewinnen und könnt sicherlich verstehen, dass ich bei diesem Thema nicht tiefer ins Detail gehen möchte, denn alles andere wäre einfach zu privat.

Donnerstag, 15. Dezember 2011

Der Anfang allen "Übels"

Obwohl ich schon seit über drei Monaten in Ghana bin, kann ich mich noch sehr gut an die Ankunft erinnern. Durch die dreistündige Verspätung in London kamen wir erst gegen Mitternacht in Accra an. Ich denke, den meisten Freiwilligen ging es zu dem Zeitpunkt so wie mir. Sobald das Flugzeug gelandet hatte, dachte wohl kaum jemand noch an die vergangen Strapazen der Reise und war nur noch darauf gespannt, was ihn/sie außerhalb der Maschine erwartete. Und das war zu aller erst die stickig-feuchte Nachtluft der Hauptstadt. Prompt fühlte man sich an den nach Luft schnappenden Fisch erinnert und hatte das Gefühl, einfach zu wenig einzuatmen. Nach den Paar Tagen beim Orientierungsseminar verschwand dieses Gefühl wieder. Wir hatten uns wohl an die Luftfeuchtigkeit gewöhnt.
Das Flughafengebäude erinnerte mich an mache, die ich bereits in Kasachstan und Russland gesehen hatte. Ehrlichgesagt verglich ich am Anfang ziemlich vieles mit Kasachstan. Diese „Herangehensweise“ habe ich aber sehr bald wieder abgelegt…
Ich weiß noch, wie der erste, der mit einer von uns befreundet sein wollte, ein Sicherheitsmann des Flughafens war. Damals kam uns der Satz „I’ll take you as a friend“ von einem völlig fremden Menschen noch echt eigenartig vor.
In Empfang genommen wurden wir von einer ARA-Mentoren-Gruppe, die gleich eine nette Vorstellungsrunde starteten und anschließend sich selbst und uns (13) samt unseres Gepäcks in ein Trotro und ein Taxi verhalfen. So ging es durch die nächtliche Hauptstadt zum ARA-Haus, das sich in unmittelbarer Nähe zum Strand befand. Man konnte schon das Rauschen der Wellen vernehmen, aber es war zu dunkel und so sahen wir den Ozean erst am nächsten Morgen.
unsere "Residenz" - das ARA-Haus

An diesem nächsten Tag ging es für eine kleine Führung nach Accra. Zunächst lernten wir jedoch die sog „Ghanaische Pünktlichkeit“ kennen, die v.a. von den Ghanaer_innen selbst wohl am meisten propagiert wird. Was dahinter steckt, ist die Behauptung, dass Ghanaer_innen generell unpünktlich sind bzw. keinen Wert auf Pünktlichkeit legen, was so natürlich überhaupt nicht stimmt. Nichtsdestotrotz wurde uns genau das erklärt, als wir eine Stunde später geweckt wurden als eigentlich angekündigt und dann noch einmal als wir mit zwei Stunden Verspätung losgekommen sind. „Ihr seid hier in Ghana. Daran müsst ihr euch jetzt gewöhnen!“, wurde uns gesagt.
Die Fahrt war erstaunlich lang für die eigentlich eher kurze Entfernung. Das lag zum Teil an den Straßenverhältnissen, denn einige der Straßen waren von Schlaglöchern übersäht. Andererseits sind wir nur noch langsamer vorangekommen, als wir endlich bei der befestigten, mehrspurigen Hauptstraße angekommen waren. „The Traffic“ ist wohl der Hauptgrund für die Ghanaische Pünktlichkeit… naja, zumindest in Accra.
Während wir im Stau gefangen waren, nutzten Straßenverkäufer die Chance, ihre Waren anzubieten. Mit Tragevorrichtungen auf dem Kopf bewegten sie sich geübt zwischen den ziemlich eng aneinander stehenden bzw. fahrenden Autos und feilschten durch offene Seitenfenster mit den Insassen.  Es gab so gut wie alles von Ghanaischem Fastfood und Süßigkeiten über Schweißtücher und Rasierklingen bis zu etwas „exotischeren“ Waren wie Tummy Trimmer und Karten von Ghana. Nicht zu vergessen die Sachets: je 500ml Wasser eingeschweißt in kleine, quadratische Plastiktüten. Man muss eine Ecke anbeißen, um den erfrischenden Inhalt (mehr oder weniger) gefahrlos genießen zu können. (Inzwischen weiß ich, dass auch Shots à 25ml in solchen kleinen, zugeschweißten Sachets verkauft werden.)
An den Rest des Tages kann ich mich nicht mehr so genau erinnern. Es war auf jeden Fall sehr heiß und stressig. Zuerst waren wir auf dem Arts Market (Touri-Markt), blieben jedoch nicht besonders lange, denn als weiße Frischlinge, wurden wir sofort in alle Richtungen gezerrt und es wurde versucht, uns Waren anzudrehen, nach denen wir überhaupt nicht gefragt hatten. Außerdem hatten wir noch gar kein Ghanaisches Geld und so ging es zunächst zum Wechseln.  Dann sind wir ein Stück durch die Stadt gelaufen und anschließend haben wir in einem Lokal zum ersten Mal Ghanaische Speisen gegessen, die sehr lecker, aber ungewohnt scharf waren. Auf den Straßen riefen uns Menschen zu sich, wollten uns kennenlernen, unsere Freunde sein. Die weiblichen Freiwilligen wurden oft von jungen Männern angequatscht, die verkündeten, sie wollten sie heiraten. Auch ich wurde zu Teil am Arm festgehalten, um nach meiner Nummer zu fragen. Ich weiß noch, dass es mir damals nichts ausgemacht hat und ich mich auf nette Art und Weise versuchte zu befreien. Mittlerweile finde ich diese „Festhaltemethode“ der Jungs hier echt nervig, aber sie wenden sie wohl auch genauso bei den Ghanaerinnen an.
Während des Ausflugs kam ich mir mit der Freiwilligengruppe wie ein stinknormaler Tourist vor. Zudem fühlte ich mich unglaublich hilflos. Wie sollte ich mich auf den Straßen, zwischen all den Shops, vorbeilaufenden Menschen und v.a. im Trotro-Taxi-System zurechtfinden? Vielen Freiwilligen ging es genauso wie mir. Wir dachten, wie würden nie allein zurechtkommen können. Inzwischen ist es ganz anders.

Die restlichen Tage im ARA-Haus verliefen eher chillig. Wir hatten zwar ein Programm, doch daran wurde sich nicht wirklich gehalten, was von den Freiwilligen einstimmig begrüßt wurde. Morgens ging es immer zum Strand für ein Paar kleine Übungen und natürlich zum Schwimmen. Dabei hatten wir immer einige Zuschauer, wie z.B. die Fischer, die beim Netzausrollen zum Teil innehielten, um den verrückten Weißen dabei zuzusehen, wie sie ins Wasser rennen. Das lag wohl daran, dass die wenigsten Ghanaer_innen schwimmen können und sich somit auch nicht unbedingt weit reintrauen. Zudem waren wir wohl zu unbekleidet mit unseren Bikinis und Badehosen.
Ansonsten wurde natürlich auch gearbeitet auf der wunderschönen Dachterrasse des ARA-Hauses. Wir behandelten Themen wie den richtigen Umgang mit Ghanaern, unserer Familie, Religion, Unterrichtsvorbereitung etc., besprachen Offizielles wie die Visabestimmungen (, die echt nerven http://www.ghanaemberlin.de/vinfo.html  und das ist nicht mal alles!) und hatten eine kurze Einführung in die regionale Sprache „Twi“. Die Stimmung war sehr ausgelassen und am letzten Abend feierten wir noch den Geburtstag einer von uns, mit Softdrikns, ghanaischen und deutschen Geburtstagstraditionen, Trommeln, neuester ghanaischer und zum Teil auch deutscher Musik, wilden Limbotänzen und ghanaischen und deutschen Partyspielen – Kulturaustausch pur!
Während des Orientierungsseminars befand ich mich in einem komischen Gemütszustand. Ich war nicht total euphorisch wie manche anderen, aber auch nicht enttäuscht. Ich ließ einfach alles auf mich zukommen und nahm es so hin, als wäre es das einzig richtige. Deshalb habe ich mir auch überhaupt keine Gedanken bzw. Sorgen darum gemacht, wie es in der Einsatzstelle oder in meiner Gasfamilie sein würde. Selbst als uns die einzelnen Namen der Familienoberhäupter verkündet wurden und jede_r über seine/ihre Familie Fragen stellen konnte, falls es ihn/sie interessierte, ließ ich das lieber sein. Schließlich sollte ich sie sowieso schon am nächsten Tag treffen.