Das Taxi hielt vor einem nicht allzu kleinen Haus, umgeben von einer hellblauen Mauer. Durch das quietschende Tor kamen wir in den Vorgarten mit einigen Plantain-, zwei Avocadobäumen und einem großen Mangobaum (wie ich später und zu meiner Freude erfuhr). Zur Begrüßung wurden wir erst einmal vom etwas hyänenartig aussehenden Hund lautstark angebellt. Auf der Veranda empfing uns eine junge deutsche Praktikantin, die schon seit einem halben Monat in Ghana war und noch 7 ½ weitere mit mir gemeinsam in der gleichen Familie verbringen würde. Sie führte mich durch das Haus, in mein Zimmer und half mir beim Anbringen des Moskitonetzes. Dabei erzählte sie mir schon mal etwas von der Familie.
Meine Gastmutter und die Chefin im Haus heißt Jennifer. Sie ist eine richtige Geschäftsfrau und verkauft Stoffe auf dem Markt nur eine Straße weiter. Ihr Arbeitstag beginnt so um 7.30 Uhr morgens und endet gegen 18.00 Uhr abends, wenn es auf den Straßen dunkel wird. Ab und zu muss sie in die Hauptstadt fahren, um neue Ware zu besorgen. Ansonsten geht sie wie wohl jede „anständige“ Ghanaerin jeden Sonntag in die Kirche (, wohin ich sie auch des Öfteren begleite). Sie ist auch ein Mitglied der Calvary Methodist Church Women Fellowship, welche sich jeden Mittwochabend trifft. Aus diesem Grund war die Mutter bei meiner Ankunft auch überhaupt nicht da.
Außerdem leben im gleichen Haus noch Old Lady (ausgesprochen wie Ohlady!), die 16-jährige Esi und der 14-jährige Kobi. Old Lady ist die Mutter meiner Gastmutter und auch eine Marktfrau. Sie verkauft verschiedene hausgemachte Cremes und Pulver, kleine Wurzeln und getrocknete Blätter, die sie auf einem Tablett auf ihrem Kopf durch die Straßen balanciert (ich habe immer noch nicht raus, wie das geht!). Was ihr richtiger Name ist, weiß ich nicht, denn jede_r hier nennt sie Old Lady, selbst ihre Kinder. Abends hilft die Oma Esi beim Essenkochen. Die junge Frau hat die JHS absolviert und geht nun nicht mehr zur Schule, dementsprechend kann sie genauso wie die Großmutter leider nicht besonders gut Englisch sprechen. Esi schmeißt hier so ziemlich den ganzen Haushalt und verkauft nebenbei auch auf dem Markt. Ähnlich wie Old Lady trägt sie Schmuck, Haarnetze und –Spangen durch die Gegend.
Am Anfang dachte ich, die beiden Teenager seien die Kinder meiner Gastmutter, schließlich wurden sie uns auch so vorgestellt. Erst einige Wochen später stellte sich heraus, dass es nicht ihre biologischen Kinder sind. Esi z.B. ist überhaupt nicht mit ihr verwandt. Sie kommt aus einem entlegenen Dorf. Ihre Eltern konnten ihre Ausbildung nicht finanzieren und haben sie deshalb, wie das so üblich ist, zu meiner Mutter geschickt, um kochen zu lernen. Hier kann sie wohnen, essen, ihr eigenes kleines Taschengeld auf dem Markt verdienen und muss aber dafür den Haushalt für die Mutter übernehmen. Sie ist also eher eine Art Hausmädchen.
Kobi ist der Neffe meiner Gastmutter. Seine Mutter lebt auch in einem kleinen Dorf außerhalb von Swedru. Wieso er nicht mit ihr dort lebt, kann ich immer noch nicht wirklich sagen. Seine Mutter kam auch schon einmal zu Besuch. Da habe ich übrigens auch erst erfahren, dass er eigentlich gar nicht der leibliche Sohn meiner Mutter ist. Ihre Erklärung dazu war ungefähr so: „Yes, he is my son, but this woman, my younger sister, is his mother.”…
Der Junge geht hier auf eine staatliche Schule und verkauft danach oft Wassersachets auf der Straße. Eigentlich sehe ich ihn fast nur morgens und abends, weil er immer unterwegs ist und draußen mit den Kindern aus der Nachbarschaft spielt. Wenn er dann aber da ist, bekommt man das sofort mit, denn Kobi ist eine Frohnatur und singt immerzu und das auch nicht all zu leise! (Im Moment sitzt er draußen auf dem Hof, wäscht seine Kleidung und lacht sich tot. Ich habe keine Ahnung, worum es geht, muss aber automatisch mitlachen!)
Meine Gastmutter hat auch einen Mann und zwei Kinder. Diese leben aber in Kumasi, der zweitgrößten Stadt Ghanas. Der Vater, ein kleiner, aber echt liebenswürdiger Mann, arbeitet dort und hat da auch ein eigenes Haus, das unserem in gewisser Weise ähnlich ist. Ihre beiden gemeinsamen Töchter Beatrice (26) und Shebba (18) wohnen bei ihm. Beatrice arbeitet in einer Bank und Shebba hat gerade die High School abgeschlossen. Außerdem wohnen im gleichen Haus noch zwei weitere Kinder meines Gastvaters und ein Hausjunge, der dort so ähnlich untergebracht ist wie Esi hier. Der Mann meiner Gastmutter war wohl vorher schon verheiratet und hat deshalb insgesamt 12 Kinder, die alle irgendwo in Kumasi und Gegend leben. Ich weiß, die Familienverhältnisse sind hier manchmal echt schwer nachzuvollziehen. Ich habe ja auch ein paar Monate gebraucht und blicke immer noch nicht so ganz durch.
Gastfamilie im Sonntagsdress (Kumasi) |
Ich muss sagen, dass es für mich nach über drei Monaten immer noch schwierig, wenn nicht gar unmöglich ist, ein richtiges Familienmitglied zu werden. Das liegt zum Teil daran, dass meine Gastfamilie ja auch keine Familie im herkömmlichen Sinne ist, wie man bereits an den Verwandtschaftsverhältnissen leicht erkennen kann. So besteht auch eine klare Hierarchie, an dessen Spitze sich meine Gastmutter befindet. Dieses System wäre in den meisten ghanaischen Familien vorhanden und beruhe auf einer langen Tradition, haben uns die Mentoren erklärt. Trotzdem ist es für eine_n Außenstehende_n nicht einfach nachzuvollziehen und noch weniger einfach, einen eigenen Platz in der Familie zu finden. Ein Beispiel: Wenn ich Esi beim Abwasch helfen möchte, dann versucht sie alles, um es zu verhindern. Es entspricht nicht der „Norm“, dass ein Familienmitglied in meiner Position einem Familienmitglied in ihrer Position hilft. Es entspricht allerdings aber auch nicht meinen Vorstellungen, mich von ihr bedienen zu lassen. Schwierige Angelegenheit…
Andererseits bin ich froh über die eher lockeren Familienverhältnisse, in denen ich als Freiwillige einen gewissen Freiraum genieße. Es ist echt toll zu wissen, dass es einen Ort gibt, wo man sich zurückziehen kann, v.a. wenn der Tag nicht besonders gut gelaufen ist. Es ist eben doch zu meinem Zuhause geworden.
Ich hoffe ihr konntet nun einen gewissen Einblick in diese Familienverhältnisse gewinnen und könnt sicherlich verstehen, dass ich bei diesem Thema nicht tiefer ins Detail gehen möchte, denn alles andere wäre einfach zu privat.
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