Samstag, 11. Februar 2012

und weiter

Zur Schule
Kaum bin ich aus dem quietschenden Tor heraus, breitet sich ein bedrückendes Gefühl in mir aus. Kein Wunder, denn der Schutz der „Vier Wände“ ist weg und als weiße Frau ziehe ich in Swedru alle Blicke auf mich. Tief durchatmen und rein in den Tag!

Um auf die Straße zu gelangen, muss ich einem Schotterweg zwischen den Nachbarshäusern folgen. Einige Frauen stehen vor den Toren, quatschen, putzen sich die Zähne oder waschen ihre Wäsche. Ein Kind rennt aus dem Hof heraus, vermutlich das gleiche, das sich eine halbe Stunde zuvor die Seele aus dem Leib geschrien hat. „Obroni, byebye!“, ruft es mir fröhlich zu. Ich habe zwar mittlerweile beschlossen auf diese Bezeichnung nicht mehr zu reagieren, aber das Kind weiß es einfach nicht besser und freut sich eigentlich nur, mich zu sehen. Also grüße ich die Frauen und winke dem Kind im Vorbeigehen lächelnd zu. Das heißt aber lange nicht, dass das Kind auch aufhört zu rufen. Das tut es erst, wenn ich an der Straße um die Ecke gebogen bin, jeden Tag aufs Neue.

Nun wird es etwas stressiger. Am Straßenrand führt der tiefe Gutter entlang und wenn Autos in beide Richtungen an einem/einer vorbeifahren, kann es manchmal echt eng werden. Man hat das Gefühl, die Menschen eilen alle irgendwohin, auch wenn die meisten im gemütlichen Tempo dahingehen. Ich treffe auf viele Schulkinder in ihren farbenfrohen Uniformen. Die meisten von ihnen wissen leider noch nicht, dass ich auf ihr „Obroni“ nicht reagieren werde.

Die zahlreichen, garagenartigen Shops zu beiden Seiten der Straße sind noch überwiegend geschlossen, aber aus dem schräg gegenüber zum Schotterweg dröhnt bereits die Musik. Hier werden CDs und DVDs aller Art angeboten und unseren gebrauchten Kühlschrank haben wir auch von hier. Die Verkäuferin mittleren Alters lächelt freundlich und winkt mir zu, woraufhin ich sie genauso freundlich wieder zurückgrüße. „Obroni“ nennt sie mich schon lange nicht mehr.
Dies ist die erste „Etappe“ auf meinem Schulweg. Die zweite ist ein kleiner Schneidersalon einige Meter weiter, direkt neben der Calvary Methodist Church. Die beiden jungen Frauen(Schneiderlehrlinge) sind offensichtlich immer als erste vor Ort. Sie wünschen mir stets Guten Morgen und erkundigen sich nach meinem Befinden. „I’m fine and you?“, lautet meine Antwort.
„We are also fine, thank you. Go and come, OK!”
“OK!”, antworte ich im Vorbeigehen.

An der anderen Seite der Kirche biege ich nach rechts auf eine nicht geteerte Straße ab. Ich könnte auch weiter der ausgebauten Straße folgen, doch ein penetranter und viel zu alter „Verehrer“, der dort seinen Laden hat, hat mich bereits zu Anfang meines Aufenthalts gezwungen, meine Route zu wechseln.
Einige v.a. männliche Vertreter der Passanten und Ladenbesitzer rufen mich: „Obroni! Ksss! Ksss! Hey! Bra(come)!“. „Und was für einen Grund sollte ich haben zu „kommen“ und womöglich deshalb noch in der Schule zu spät zu sein?“, denke ich mir und gehe unbeirrt weiter. Es kommt natürlich auf die Situation drauf an, aber meistens ignoriere ich solche Rufe, denn der Ton gefällt mir oft nicht. Daraus resultiert eine große Empörung beim Rufenden, doch ich bin mir ziemlich sicher, dass eigentlich ich über den Umgang empört sein müsste.

So komme ich bald zu meiner dritten „Station“, den Frauen in einer Backstube. Hier wiederholt sich das gleiche Ritual, diesmal in Fante, von dem mir die Bäckerinnen immer versuchen etwas beizubringen und das nicht immer erfolglos.
Ein paar Meter weiter treffe ich beinahe täglich auf zwei Schülerinnen unserer Primary, die den jungen Sohn einer Kollegin zum Kindergarten einer anderen Privatschule begleiten. Sobald der Kleine mich erblickt, läuft er lachend auf mich zu und umarmt meine Beine, denn höher kommt er einfach nicht. Auch ihn frage ich nach seinem Befinden und natürlich lautet die eingeübte Antwort stets: „I’m fine!“. Da seine Englischkenntnisse eine längere Unterhaltung nicht erlauben, wünsche ich ihm noch einen schönen Tag und verabschiede mich. Der Kleine winkt mir lächelnd zu und lässt sich von den beiden Schülerinnen an der Hand wegführen. Egal von welchem Bein ich an diesem Morgen aufgestanden bin, das rettet immer den Tagesanfang!
Doch nebenbei werde ich zwar nur selten, aber immer noch von den Kindern auf dem nächsten Vorhof angeschrien: „Obroni! Obroni! What ist your name?“. Ich ignoriere sie, denn meinen Namen habe ich denen schon ungefähr 10mal verraten. Vermutlich ist das der einzige Satz, den sie in Englisch zu Stande bringen und das offensichtlich, ohne die Bedeutung zu kennen.

Je näher ich unserer Schule komme, desto mehr Schüler_innen in unseren blau-weißen Uniformen sehe ich. Von jedem/jeder werde ich mit „Good morning, Madam!“ begrüßt. Dabei „salutieren“ die Jungen als Zeichen des Respekts und die Mädchen vollführen einen Knicks. Bestimmte Schülerinnen nehmen den Lehrer_innen gerne die Taschen ab und tragen sie voraus.

Meine nächste und letzte Station ist ein weiterer Schneidersalon, der von einer jungen Frau geleitet wird. Eines Tages sprach sie mich an und sagte, sie möchte, dass ich sie begrüße, wenn ich vorbeigehe. Seit dem tue ich das auch brav. Also nochmals das gleiche!
Nur wenige Meter weiter befindet sich bereits das Schultor. Sobald ich auf dem Gelände bin, kann ich wieder durchatmen. Man glaubt gar nicht, welche Konzertration und wie viel Energie es manchmal abverlangt, durch die Straßen Swedrus zu gehen.

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