Dienstag, 15. Mai 2012

Abends
Je nachdem, ob Markttag ist oder nicht, kehrt meine Gastmutter so zwischen 17.00 und 18.30 Uhr heim. Panyin ist stets bemüht, das Abendsessen rechtzeitig zu ihrem Erscheinen vorzubereiten. Gegessen wird draußen. Um diese Zeit ist es bereits dunkel und irgendwelche Insekten versammeln sich um die Lampe am Eingang, verbrennen sich dir Flügel und fallen runter. Es kommt ein Frosch, um sie aufzusammeln, nach dem Maame-Jennifer mit ihren Schuhe wirft. Schließlich könnte er giftig sein.
Auf der Terrasse sitze ich als einzige am großen Tisch, die Mutter hinter mir auf einem Sessel mit einem niedrigen Tischchen vor sich, Panyin und Kobi direkt vor der Terrasse auf dem Boden mit den Schüsseln in den Händen, OldLady hinten im Hof auf einem kleinem Hocker. Der Hund stitzt zu meinen Füßen und wartet mit einem bettelnden Blick auf Knochen, Gräten und was noch so dabei rumkommt. Die Mutter versucht erfolglos, ihn davon zu scheuchen.

eine "kleine" Portion
Auf diesen Moment habe ich den ganzen Tag hingearbeitet bzw. -gehungert. Mir wird ungefähr das Dreifache von dem vorgesetzt, was ich normalerweise selbst auftun würde. Seit Panyin da ist, hat es sich schon etwas gebessert, aber auch er muss tun, was die Chefin im Haus verlangt. Und sie will ganz offensichtlich, dass ich zunehme, sonst könnte ja jemand auf die Idee kommen, ich würde schlecht versorgt werden. Außerdem enspricht eine füllige Frau hier (zumindest traditionell) eher dem Schönheitsideal.
Ich hätte zuvor nie gedacht, dass das Thema zu so einem Psychoterror werden könnte. Versuchen aufzuessen habe ich schon ganz am Anfang aufgegeben. Erstens bedeutet das, dass beim nächsten Mal nur noch mehr aufgetan wird, zweitens ist so eine Magenerweiterung, meiner Meinung nach, echt ungesund. Über die zahllosen Diskussionen danach will ich gar nicht nachdenken. Die verlaufen alle eigentlich nach dem gleichen Muster:
Gastmutter (mit immer wieder neuem Erstaunen auf dem Gesicht): "Oh, du hast ja nichts gegessen!"
Ich (mit einem Lächeln): "Doch, doch! Es war einfach nur zu viel. Ich bin jetzt satt, danke."
Gastmutter (besorgt): "Magst du das Essen etwa nicht?"
Ich (verzweifelt): "Nein, nein! Es war echt lecker, danke. Ich bin einfach nur voll."
Gastmutter (mit einem Lachen): "Ach, ich sehe doch, dass du das Essen nicht magst."
Ich (mittlerweile genervt, versuche es aber zu verbergen): "Doch ich mag es. Es ist wirklich sehr lecker, aber in meinen Magen passt einfach nichts mehr. Ich bin an so große Portionen wohl nicht gewöhnt."
Gastmutter (immer noch mit einem Lächeln): "Wenn du das Essen nicht magst, dann kannst du es mir ruhig sagen, dann kochen wir etwas anderes für dich."
Ich (weiß mittlerweile, dass es wieder nichts bringt, muss aber etwas antworten): "Nein, nein! Ich mag es ja, die Portion ist bloß echt zu groß. Wenn ich etwas nicht mag, dann sage ich es dir, ich verspreche es."
Gastmutter (entschieden): "Panyin, brate für Anna ein paar Plantains!"
Ich (noch entsetzter als zuvor): "Nein, nein, nein! Um Gottes willen! Ich kann doch nicht noch mehr essen."
Gastmutter (auch nach dem hundertsten Mal immer noch erstaunt): "Aber so kannst du doch nicht schlafen!"
Ich (versuche es ein letztes Mal): "Ich werde noch schlechter schlafen, wenn ich jetzt noch was esse, denn dann wird mir schlecht. Danke, aber ich bin wirklich mehr als satt. Mach dir keine Sorgen."
Gastmutter (unbeirrbar versucht sie, mir ein Schlechtes Gewissen einzureden): "Ich mag es nicht, wenn ihr das Essen stehen lasst. Dann fühle ich mich nicht wohl."
Ich (nur noch in Gedanken): "Und ich mag es nicht, zwangsernährt zu werden. Als Wolfühlen kann man das auch nicht gerade bezeichnen."
Man könnte meinen, dass es ihr selbst auf Dauer zu anstrengend sein müsste, jeden Abend solche Diskussionen zu führen. Doch selbst nach acht Monaten lässt meine Gastmutter ab und zu die alten Sprüche hören.
Dabei ist unser Essen echt lecker und ich verputze sowieso schon viel zu viel davon. Es schwimmt auch im Gegensatz zu dem, was meistens auf der Straße verkauft wird, nicht im rotbraunen Palmöl. Darauf achtet meine Mutter sehr penibel, denn sie ist sehr bemüht, dass es ihren Freiwilligen gut geht. Dafür bin ich ihr sehr dankbar, aber manchmal ist sie eben zu bemüht und behandelt mich bevormundend, wie ein Kind.

Wenn es noch nicht zu spät ist und keine von uns etwas zu tun hat, dann unterhalten wir uns noch etwas, während die Jungens Geschirr abspülen. Die Mutter erzählt mir vom Klatsch und Tratsch vom Markt und informiert mich über die Geschehnisse beim anderen Teil der Familie in Kumasi. Ich berichte ihr von der Schule und den anderen Freiwilligen. Manchmal entstehen auch echt interessante Gespräche, bei denen es meistens um die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland und Ghana in bestimmten Themenbereichen geht. So lässt sich auch mal der ein oder andere Irrglaube ausräumen, wie z.B. der: In Deutschland wird Fufu gegessen, dass aus Pulver zubereitet wird. Wenn jemand in Deutschland Fufu zubereitet, dann macht er/sie es bestimmt mit Pulver, denn der herkömmliche Weg wäre eindeutig zu kompliziert. Der springende Punkt ist jedoch, dass der Großteil der deutschen Bevölkerung noch nie etwas von Fufu gehört hat. Das scheint für viele Ghanaer_innen unvorstellbar.

Früher sind Sarah und ich oft noch in eine kleine Bar auf der gegenüberliegenden Straßenseite gegangen, manchmal um andere Frewillige zu treffen, später auch mit Panyin. Leider wurde die Bar geschlossen und Sarah ist auch mittlerweile zurück in Deutschland. Nach dem Abendessen, das meistens insgesamt fast zwei Stunden einnimmt, gehe ich also in mein Zimmer. Dort beantworte ich Emails, höre Musik und packe schon mal meine Tasche für den nächsten Tag. Wenn ich noch genug Zeit habe, dann schreibe ich etwas an einem Post. Wie man sieht, hab ich sie meistens nicht, denn ich muss versuchen zwischen 21.00 und 22.00 Uhr ins Bett zu kommen. Wenn mir das nicht gelingt, dann bin ich am nächsten Tag zu zerschlagen, um bei durchschnittlich 31°C acht Stunden in der Schule zu verbringen.Und bevor ich ins Bett gehe, mache ich noch gerne etwas Sport, für meinen kaputten Rücken und für mein Schlechtes Gewissen wegen der überschüssigen paar Kilos. Danach nehme ich noch fix eine Dusche, putze mir die Zähne und krabbele zurück unter mein Moskitonetz, dessen Eingang ich mit einer alten Haarklammer verschließe. Nicht, dass irgendwelche übergroßen Kakerlaken reinkrabbeln!
Auf meinem kleinen, blauen Nokia muss ich jeden Abend die Aufweckzeit einstellen. Von draußen hört man einen ganzen Chor von Hundegeheul und auf der Decke direkt über meinem Kopf sitzt ein kleiner, farbloser Gecko. Schonwieder ist ein Tag vergangen!

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