Meine Nachmittage
Während ich durch das Tor eintrete, rennt der Hund mir bereits entgegen. Entweder er hat mich noch nicht erkannt und bellt wie verrückt oder er möchte mich nur begrüßen. Der mag mich ganz gerne, weil ich heimlich meine ganzen Essensreste an ihn verfüttere und das ist echt nicht wenig.
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unser Kühlschrank |
Wenn Old Lady im Hof sitzt, dann begrüße ich sie. Ihre Antwort ist stets „Welcome!“. Ich bedanke mich und eile in den schattigen und tatsächlich kühlen Korridor. Im Zimmer begrüßt mich wieder stickige Luft, doch zum Lüften ist keine Zeit, denn ich kann’s kaum mehr erwarten, unter die Dusche zu schlüpfen und dafür muss ich die Zimmertür natürlich wieder verschließen.
Frisch gewaschen und in einen Stoff eingewickelt bringe ich noch schnell die Badeutensilien zurück und inspiziere daraufhin den Kühlschrank. Außer den Wassersachets befindet sich dort nicht viel, aber wenn ich Glück habe, hat meine Gastmutter die Früchtedose auffüllen lassen und das Brot, das ich beim Frühstück übergelassen habe, wurde noch nicht von Kobi aufgegessen. Nach ein paar Bananen und einigen Stückchen Ananas ist mein Nachmittagssnack beendet, schließlich folgt das Abendessen in höchstens drei Stunden und ist unausweichlich.
Ab nun gibt es verschiedene Möglichkeiten:
Möglichkeit 1: Ich bin mit meiner Mitfreiwilligen Luzie verabredet. Zusammen gehen wir oft kleine Besorgungen erledigen, eine_n Schneider_in aufsuchen oder an einem der Markttage (Montag und Donnerstag) shoppen. Unser Treffpunkt ist stets ein torbogenähnliches Gebilde direkt gegenüber zum Markt. Da ich in direkter Nähe zum Markt wohne, brauche ich nur einige Minuten, um über ein paar kleine Gassen dieses zu erreichen.
Da Luzie und ich uns mindestens einmal pro Woche an dieser Stelle treffen, kennen uns hier die meisten Ladenbesitzer_innen. Sister Efua hockt stets unter einem der Vordächer auf einem Stuhl und flicht die Haare einer Kundin, die direkt vor ihr auf einem kleinen Hocker sitzt. Sie ist super freundlich und bietet der jeweils Wartenden immer einen Sitzplatz an. Direkt neben ihr macht eine junge Frau ihren Kundinnen die Nägel, während weitere bereits auf einer Bank warten. Ein paar Meter weiter befindet sich der Shop einer richtig guten Schneiderin. Leider verlangt diese von uns (Weißen) immer den doppelten Preis. Alle werden natürlich freundlich gegrüßt und nach ihrem und dem Befinden ihrer Kinder (, falls diese vorhanden sind,) gefragt.
Von hier aus müssen wir nur noch die Straße überqueren, um auf den Markt zu gelangen. Sie ist immer voll von Taxis, die sich aneinander vorbei quetschen und hintereinander her kriechen. Es herrscht lautes Gebrumme und Gehupe, mit dem die Taxifahrer versuchen andere Fahrer und potenzielle Kunden, auf sich aufmerksam zu machen. Sie strecken ihre Arme oder Köpfe aus den Fenstern und versuchen gestikulierend herauszufinden, ob und wohin die Passanten gefahren werden wollen.
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die Straße neben dem Markt |
Auf dem engen Streifen zwischen den vorbeifahrenden Taxis und dem Gutter suchen sich die Fußgänger ihren Weg, Käufer und Verkäufer wickeln ihre Geschäfte ab. Die zum Teil sehr jungen Straßenhändler bieten Getränke, Eis, Meatpies, Schmuck, Kleidung, Reinigungsmittel, einfach alles Erdenkliche an und transportieren ihre Ware auf Tablettes oder eigens dafür bestimmten Vorrichtungen auf dem Kopf. Laut preisen sie die Angebote an: „One one Cedi! One one Cedi!“. Frauen mit den typischen schwarzen Einkaufstüten beladen, bahnen sich einen Weg zum Taxi. Ihre kleinen Kinder eilen ihnen hinterher, versäumen es aber trotzdem nicht, uns „Obroni“ hinterher zu schreien.
Die Straße ist von unzähligen vollgestopften, garagenartigen Shops gesäumt. Zum Markt gibt es von dieser Seite aus genau vier Zugänge. Einer ist bei den Fisch- und Gemüseverkäuferinnen, zwei bei der Schuh- und Klamottenabteilung. Alle drei sind kaum passierbar, ohne angequatscht und festgehalten zu werden. Alle wollen uns ihre Ware andrehen und schauen beleidigt, wenn wir nichts haben wollen. Sehe ich so aus, als wäre ich an riesigen, noch lebenden Suppenschnecken interessiert?
Meistens wählen wir den Gang, der die beiden Abteilungen teilt und geradewegs zu den Stoffläden am anderen Ende des Marktes führt. In der Luft verbinden sich die Gerüche von neuen Stoffen, Seife, Gewürzen, Früchten, Fisch und Fleisch. Die Shops sind so nah aneinander, dass der ganze Markt im Prinzip überdacht ist. Die Zwischengänge sind super eng und werden größtenteils von Ladensbesitzern/-bestizerinnen zum Wareauslegen beansprucht. Nichtsdestotrotz gibt es auch hier die Straßenhändler mit ihren Tragevorrichtungen auf den Köpfen, denen wir dann ausweichen müssen. Einfach so stehen bleiben, ist im Grunde unmöglich, denn man würde für alle Nachfolgenden den Weg versperren. Zum Umherschauen bleibt oft gar keine Zeit, weil man sich darauf konzentrieren muss, nicht jemanden oder etwas umzulaufen. Aber umherschauen sollte man sowieso lieber nicht. Wenn man auch nur eine Sekunde zu lange auf die Ware guckt, merkt das der/die Verkäufer_in sofort und will einem/einer gleich etwas andrehen. Sie verstehen wohl nicht, dass sie uns gerade damit verscheuchen. Man muss sich dann immer irgendwelche Ausreden einfallen lassen, wieso man auch aus diesem Shop gerade nichts benötigt. Windowshopping ist also nicht, man muss ganz genau wissen, was man braucht und das auch zielsicher ansteuern. Dabei sollte man schon den ungefähren Preis kennen und wenn man neu ist, davon ausgehen, dass der doppelte verlangt wird und feilschen.
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ein Stück des Marktes |
Wenn ich auf dem Markt bin, erfährt meine Gastmutter dies mit großer Wahrscheinlichkeit spätestens nach fünf Minuten. Das heißt, ich muss ihr unbedingt in ihrem Stoffladen in der vorletzten Reihe einen Besuch abstatten. Wenn ich schon einmal da bin, dann muss ich auch gleich alle ihre Kolleginnen in der gleichen Reihe besuchen und jede von ihnen persönlich begrüßen. Dass ich mir total bescheuert dabei vorkomme, die gleiche Begrüßungszeremonie ungefähr 8 Mal hintereinander zu durchlaufen, muss ich also kurz ausblenden. Erstaunlicher Weise ist genau dieser vorletzte Gang wohl der breiteste auf dem ganzen Markt und so sitzen die Marktfrauen auf kleinen Hockern vor ihren Läden. Es besteht also absolut keine Chance für mich, übersehen zu werden. Falls ich jedoch eine von ihnen übersehen sollte, dann wird sie sofort beleidigt.
Alle Stoffläden sind mit Sitzbänken oder Hockern für die Kunden ausgestattet und diese werden uns nach der Begrüßungsrunde angeboten. Eine kurze Verschnaufpause folgt und wir halten etwas Smalltalk mit der Mutter. Anschließend dürfen wir uns die Neuheiten unter ihren Stoffen anschauen. Trotz der eher kleinen Auswahl, werden wir oft fündig. Meine Gastmutter ist eine clevere Geschäftsfrau und hat bei ihrem Umgang mit Weißen bereits erkannt, dass wir uns durch das typische Vorgehen der Marktfrauen eher bedrängt fühlen. Dem hat sie sich angepasst und dies ziemlich erfolgreich. Alle mir bekannten Freiwilligen und ihre Besucher_innen steuern sofort ihren Laden an, wenn sie nach Stoffen suchen.
Oft ist uns das ganze nach acht Stunden Schule zu stressig, sodass wir den Markt eher meiden. Auf den Straßen gibt es genug Shops und Verkaufsstände, wo man alles nötige bekommt und manchmal ist auch ein Supermarkt mit festen Preisen schon etwas echt Schönes.
Luzie und ich treffen uns auch, um gemeinsam den Schneider aufzusuchen. Der, meiner Meinung nach, Beste wohnt am anderen Ende der Stadt. Leider ist der Mann gehörlos, aber die Verständigung klappt dennoch hervorragend. Das einzige Problem ist, dass er sich nicht so gut an seine Termine halten kann. So kann es auch mal vorkommen, dass man wegen eines Auftrags viermal hin muss. Aufgrund der Entfernung verschwendet man so den ganzen Nachmittag, aber anrufen kann man ihn ja auch nicht.
Insgesamt scheinen die Schneider_innen dazu zu neigen, die Wünsche ihrer Kunden/Kundinnen etwas zu missachten. Zumindest habe ich die Erfahrung gemacht, dass sie am besten sind, wenn man sie einfach machen lässt. Trotzdem finde ich es super, dass man sich so billig Kleidung maßschneidern lassen kann. Wenn die Arbeit zudem so gut ist, dann nehme ich die Strapazen schon gerne in Kauf.
Es gibt Tage, an denen wir zu müde und zu faul sind, um auch nur aus dem Haus zu gehen. Dann sitzen wir in meinem Zimmer und quatschen. Gesprächsstoff gibt es immer, lauter Erfahrungen müssen geteilt und verarbeitet werden.
Möglichkeit 2: Ich bin mit niemandem verabredet und da ich in der Schule genug Zeit verbringe, nehme ich nur äußerst selten Arbeit mit nach Hause. Dafür wartet bereits ein Berg dreckiger Wäsche auf mich und das Zimmer sollte auch mal aufgeräumt werden. Da man auf Grund der Wetterverhältnisse kaum etwas mehr als einmal anziehen kann, passiert dies ungefähr zweimal die Woche.
Wenn ich Pech habe, gibt es gerade kein Wasser und ich muss darum bangen, dass ich bald nichts mehr habe, was ich zur Schule anziehen kann. Falls doch, sortiere ich meine Wäsche erst einmal in Weiß und Nichtweiß. Um die weißen Kleidungsstücke und v.a. die Handtücher (ich frage mich immer noch, wie ich auf die Idee kommen konnte, weiße Tücher mitzunehmen) wieder so hinzukriegen, wie sie vorher waren, benötigt man ein Bleichmittel, das der anderen Kleidung absolut nicht gut tun würde (und den Fingern leider auch nicht). Anschließend schnappe ich mir eine große Schüssel, einen Eimer und einen Hocker und platziere mich damit draußen unter dem großen Mangobaum, direkt neben dem Wasserhahn.
Das Wäschewaschen per Hand kann manchmal echt lange dauern. Dabei unterhalte ich mich immer mit dem Hausgehilfen, der um die gleiche Zeit auf der Terrasse das Abendessen zubereitet. Dafür trocknet die Wäsche in der Sonne umso schneller. Meistens kann ich die Stücke, die ich als erste aufgehängt habe, bereits wieder von der Leine nehmen, wenn ich mit dem Waschen fertig bin.
Als nächstes ist mein Zimmer dran. Die meisten Ghanaer_innen stehen jeden Tag noch vor Sonnenaufgang auf, um ihr Haus zu säubern. Natürlich ist es schön frisch, aber ich mache das trotzdem nicht. Zum einen muss ich wohl zugeben, dass ich einfach zu faul bin. Wie kann man auch um vier Uhr morgens aufstehen, um aufzuräumen?! Zum anderen, sieht man um diese Zeit selbst mit Licht an beim besten Willen nicht, was man da eigentlich fegt. Für mich macht es somit mehr Sinn, zwei-/dreimal die Woche, nachmittags, bei der Hitze die Arbeit zu verrichten.
Möglichkeit 3: Ich bin weder mit jemandem
verabredet, noch muss ich waschen. An solchen Tagen helfe ich gerne Panyin,
unserem neuen Hausgehilfen, beim Kochen.
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Wakye |
Seit ich angefangen habe, diesen Tagesablauf zu
schreiben, ist bereits eine Menge Zeit vergangen (es tut mir ehrlich Leid!).
Ich glaube, es war Anfang Februar, da hat Esi ihre Pläne, zu ihrer leiblichen
Mutter zurückzukehren, verwirklicht und ist gegangen. Das Verhältnis zwischen
ihr und meiner Gastmutter war schon seit geraumer Zeit nicht mehr gut gewesen
und so glich das ganze sehr einer Flucht. Eine Woche lang musste Kobi kräftig
im Haushalt mit anpacken und es sah schon so aus, als würde die Mutter Esi gar
nicht mehr ersetzen wollen, da tauchte plötzlich ein junger Mann in unserem Hof
auf. Beim Abendessen erklärte meine Gastmutter, er sei Atas Bruder und würde
uns nun im Haushalt helfen. Ata ist der Hausgehilfe in Kumasi und wegen seines
Namens wusste ich schon lange, dass er einen Zwillingsbruder haben musste.
Dieser stand nun vor mir.
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Panyin beim Zwiebelschneiden |
Ata Panyin sieht zwar nicht genauso aus wie sein
etwas jüngerer Zwillingsbruder, aber dafür ist er genauso stets gut drauf und
total open minded. Sein Englisch ist um einiges besser als Esis, was die Kommunikation
deutlich einfacher macht. Schon sehr bald ist er für Sarah und mich zu einem
echt guten Freund geworden. An freien Nachmittagen kochen wir zusammen, denn im
Gegenteil zu Esi lässt er sich helfen. Er ist so versessen darauf, mich mit der
ghanaischen Küche vertraut zu machen, dass er mich meistens schon selber ruft,
wenn er anfangen möchte. Und weil Panyin ein klasse Geschichtenerzähler ist,
macht kochen gleich doppelt Spaß! Alles, was im Haus sonst nur auf Fante
besprochen wird, erfahre ich durch ihn.
So, das war’s auch schon. Da meine Nachmittage
meistens nur ca. zwei Stunden dauern, unternehme ich werktags äußerst selten
etwas anderes.